SARS-CoV-2 bindet mit seinem Spike-Protein an den ACE2-Rezeptor. Wird das Virus von der Serinprotease TMPRSS2 aktiviert, kann es in die Zellen eindringen – soweit der bisherige Kenntnisstand. Ein internationales Forscherteam unter deutsch-finnischer Federführung hat jetzt einen weiteren Faktor identifiziert, der SARS-CoV-2 den Eintritt über den ACE2-Rezeptor erleichtern kann: Neuropilin-1.
Das neuartige Coronavirus kann nicht nur die Atemwege, sondern verschiedene Organe des menschlichen Körpers befallen und sogar neurologische Symptome hervorrufen. Dazu zählt beispielsweise der vorübergehende Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns. Und hier kommt Neuropilin-1 ins Spiel. Der Proteinrezeptor ist in den Schleimhäuten von Nase und Atemwegen zu finden und könnte eine entscheidende Rolle beim Infektionsgeschehen spielen.
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Technischen Universität München, der Universitätsmedizin Göttingen, der Universität Helsinki und weiterer Forschungseinrichtungen haben Neuropilin-1 als Türöffner für SARS-CoV-2 ausgemacht und ihre Erkenntnisse im Fachjournal „Science“ veröffentlicht.
Neuropilin-1 lenkt SARS-CoV-2 zum ACE2-Rezeptor
2003 verursachte SARS-CoV-1 Infektionen der unteren Atemwege. Das Virus, das mit dem neuartigen Coronavirus verwandt ist, führte jedoch nur zu einem kleinen Ausbruch. „Im Gegensatz dazu infiziert SARS-CoV-2 zusätzlich die oberen Atemwege einschließlich der Nasenschleimhaut und breitet sich in der Folge durch Virenausstoß – z.B. beim Niesen – schnell aus“, teilt die DZNE mit. Hier setzten die Forscher an und stellten die Frage: Warum lösen beide Viren, die am ACE2-Rezeptor andocken, unterschiedliche Erkrankungen aus?
Die Antwort fanden die Forscher im Spike-Protein, die das Virus zum Eindringen in die Zellen benötigt. „Das SARS-CoV-2-Spike-Protein unterscheidet sich von seinem älteren Verwandten durch die Einfügung einer Furin-Spaltstelle “, sagt Mikael Simons, Forschungsgruppenleiter am DZNE München und Professor für molekulare Neurobiologie an der Technischen Universität München. Würden Proteine durch Furin gespalten, werde eine spezifische Aminosäuresequenz am gespaltenen Ende freigelegt, so die DZNE. Diese furingespaltenen Substrate weisen ein charakteristisches Muster auf, von dem bekannt ist, dass es an der Zelloberfläche an Neuropiline bindet.
Experimente zeigen, dass Neuropilin-1 in der Lage ist, die SARS-CoV-2-Infektion „in Begleitung“ von ACE2 zu fördern. Wurde Neuropilin-1 durch Antikörper blockiert, konnte die Infektion unterdrückt werden. „Wenn man sich ACE2 als Eintrittstür in die Zelle vorstellt, dann könnte Neuropilin-1 ein Faktor sein, der das Virus zur Tür lenkt. ACE2 wird in den meisten Zellen in sehr geringen Mengen exprimiert. Daher ist es für das Virus nicht leicht, Türen zum Eindringen zu finden. Andere Faktoren wie Neuropilin-1 scheinen notwendig zu sein, um dem Virus zu helfen“, erklärt Simons.
Neuopilin-1 und der Geruchssinn
Da Neuropilin-1 vor allem in den Zellen der Nasenhöhle lokalisiert ist, könnte dies eine mögliche Erklärung für den vorübergehenden Geruchsverlust bei Covid-19-Patienten sein. Darum haben die Forscher Gewebeproben von verstorbenen Patienten unterucht. „Wir wollten herausfinden, ob Körperzellen, die mit Neuropilin-1 ausgestattet waren, tatsächlich mit SARS-CoV-2 infiziert sind, und stellten fest, dass dies der Fall ist.“ Weil Neuorpilin-1 aber auch in den Blutgefäßen und Neuronen gebildet wird, könnte dies eine mögliche Erklärung sein, warum sich das Virus so schnell im Körper ausbreitete und verschiedene Organe schädigen kann.
Experimente an Mäusen konnten außerdem zeigen, dass Neuropilin-1 den Transport winziger virusgroßer Partikel von der Nasenschleimhaut zum zentralen Nervensystem möglich macht. Diese Nanopartikel wurden laut DZNE chemisch so hergestellt, dass sie an Neuropilin-1 binden. Als die Nanopartikel über die Nase der Tiere verabreicht wurden, erreichten sie innerhalb weniger Stunden Nervenzellen und Kapillargefässe des Gehirns ─ im Gegensatz zu Kontrollpartikel ohne Affinität zu Neuropilin-1. „Wir konnten feststellen, dass Neuropilin-1, zumindest unter den Bedingungen unserer Experimente, den Transport ins Gehirn fördert. Wir können jedoch keine Schlussfolgerung ziehen, ob dies auch auf SARS-CoV-2 zutrifft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Transportweg bei den meisten Patienten durch das Immunsystem unterdrückt wird“, sagt Simons.
Ob die Blockade von Neuropilin-1 ein möglicher Ansatzpunkt für künftige Therapien ist, müsse in Studien untersucht werden. „Es ist derzeit noch zu früh, um darüber zu spekulieren, ob die Blockierung von Neuropilin ein möglicher therapeutischer Ansatz sein könnte“, so Simons.
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