Arzneimittellieferengpässe1 in Deutschland – echtes Problem oder nur Panik? Defekte bei Medikamenten sorgen seit langem in Apotheken für Ärger und Kopfzerbrechen und seit kurzem auch für Schlagzeilen. Die Arzneimittelversorgung gestaltet sich schwierig. Es fehlen unter anderem Blutdrucksenker, Antibiotika, Krebsmedikamente und Schmerzmittel – aus unterschiedlichen Gründen. Der Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Andrew Ullmann (FDP) wirft der Bundesregierung Versagen vor.
Laut Bundesregierung haben Lieferengpässe unterschiedliche Ursachen. Zum einen können globale Lieferketten mit der Konzentration auf nur wenige Herstellungsstätten ein Grund sein. Aber auch Qualitätsmängel bei der Herstellung, Produktions- und Lieferverzögerungen bei Rohstoffen sowie Marktrücknahmen können als weitere Ursachen ausgemacht werden. Wie aus der kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervorgeht, werden laut Bundesregierung die meisten als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffe2 in Indien, China und Italien produziert. Gleiches gelte ebenfalls für die meisten als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffe, die unter besonderer behördlicher Überwachung stehen.
Engpässe in Zahlen
Seit 2013 werden Lieferengpässe vom BfArM in einem entsprechenden Register erfasst, allerdings nur auf freiwillige Meldung der Zulassungsinhaber. Startete man vor sechs Jahren mit 42 Meldungen, waren es im vergangenen Jahr 268. Bislang liegen für das laufende Jahr 216 Lieferengpassmeldungen vor. Bezogen auf die als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffe, waren es 2013 neun Meldungen, 2018 gingen 139 Meldungen ein. Status quo in diesem Jahr sind 127 Meldungen. Hierzulande bringen laut Bundesregierung derzeit 50 pharmazeutische Unternehmer 68 Arzneimittel mit versorgungsrelevanten Wirkstoffen, die unter besonderer behördlicher Überwachung stehen den Verkehr. Für nur sechs Zulassungen ist ein Wirkstoffhersteller in Deutschland hinterlegt.
Lieferengpass ist nicht automatisch Versorgungsengpass
Ein gravierendes Problem in der Versorgung sieht die Bundesregierung dennoch nicht. „Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind aber nicht mit therapeutisch relevanten Versorgungsengpässen für Patientinnen und Patienten gleichzusetzen. Oftmals stehen alternative Arzneimittel zur Verfügung, weshalb ein Lieferengpass nicht unbedingt zum Versorgungsengpass führen muss.“ Hinsichtlich der Bedeutung eines Lieferengpasses ist daher eine „differenzierte Betrachtung erforderlich“.
Sind Rabattverträge schuld?
Wie viele der als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffe einem Rabattvertrag unterliegen, wollte die FDP-Bundestagsfraktion wissen. Doch die Frage bleibt unbeantwortet. Allerdings verweist die Bundesregierung auf das enorme Einsparpotenzial, das mittels Rabattvertrag und Festbetrag erzielt wurde. Im Jahr lässt sich das Einsparvolumen auf mehr als 12 Milliarden Euro beziffern – etwa acht Milliarden aus Festbeträgen und etwa 4,5 Milliarden aus Rabattverträgen.
„Schuld daran ist die regulierungswütige Sparpolitik der letzten Jahre. Zwangsabschläge, Festbetragsarzneimittel, Rabattverträge und regionale Arzneimittelvereinbarungen mit Quoten: Der Arzneimittelmarkt in Deutschland gleicht heute einer Planwirtschaft. Es geht nur noch darum auf dem Rücken der Patienten Geld zu sparen, bis es quietscht.“
Professor Dr. Andrew Ullmann (FDP)
Ullmann wirft der Bundesregierung „Versagen im Hinblick auf die Lieferengpässe bei Medikamenten vor“. Engpässe hätten in den letzten Jahren nachweislich zugenommen. „Das hat viele Ursachen. Die Bundesregierung versucht jedoch zu beschwichtigen und eigenes Versagen zu vertuschen. Der Wille tätig zu werden, ist nicht erkennbar. Arzneimittel werden heute überwiegend außerhalb der EU in wenigen Unternehmen in China und Indien produziert. Wenn es dort Probleme gibt, müssen das die Menschen hier vor Ort in Deutschland ausbaden, die auf ihre Medikamente angewiesen sind.“
1Von einem Lieferengpass ist laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Rede, wenn für ein Arzneimittel eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung der Auslieferung im üblichen Umfang stattfindet oder einer deutlich erhöhten Nachfrage nicht angemessen nachgekommen werden kann.
2Ein Wirkstoff wird als versorgungsrelevant eingestuft, wenn es für den Arzneistoff nur einen Zulassungsinhaber, oder nur einen endfreigebenden Hersteller oder nur einen Wirkstoffhersteller gibt.
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