Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Herz-Kreislauferkrankungen sind die häufigsten Todesursachen in Deutschland. Viele Menschen wissen nicht, dass sie Risikopatient:innen sind. Gesundheitsminister Lauterbach will deshalb per Gesetz die Früherkennung stärken.
Von den etwa eine Million Sterbefällen in Deutschland pro Jahr geht laut Statistischem Bundesamt rund jeder dritte auf eine Herz-Kreislauferkrankung zurück. Viele Herzinfarkte oder Schlaganfälle könnten wahrscheinlich verhindert werden, wenn Risikofaktoren schon früh erkannt würden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will deshalb in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Vorsorge und Früherkennung deutlich stärkt, wie er am Montag nach einem Gespräch mit Ärzte-, Apotheken- und Krankenkassenvertretern in Berlin ankündigte.
Schon im Kindesalter soll demnach künftig nach vererbten Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen „gefahndet“ werden, wie der SPD-Politiker sagte. Später sind regelmäßige Blut- und Blutdrucktests geplant, auch ohne Arzttermin in der Apotheke.
Hohe Cholesterinwerte (umgangssprachlich Blutfettwerte) und ein dauerhaft zu hoher Blutdruck können neben Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel langfristig Herzinfarkte und Schlaganfälle begünstigen. Das Problem dabei: Es handelt sich oft um schleichende jahrzehntelange Entwicklungen, die viele Menschen gar nicht bemerken. Da hoher Blutdruck oder hohe Cholesterinwerte nicht weh tun, ist manchmal auch von „leisen Killern“ die Rede.
Das geplante Gesetz werde „langfristig größte Bedeutung haben“ für die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem, sagte Lauterbach. Er verwies auf teure Herz- und Bypass-Operationen und auch auf ein erhöhtes Risiko für Demenz und Nierenerkrankungen im Alter durch dauerhaft zu hohen Blutdruck und hohe Cholesterinwerte. „Man könnte die Behandlungen in vielen Fällen überflüssig machen oder für viele Jahre nach hinten schieben.“ Es gehe darum, Lebensqualität und Lebenserwartung zu verbessern.
Screening schon bei Kinderärzt:innen
Bereits bei der Vorsorgeuntersuchung U9 für Kinder im Alter von fünf Jahren soll künftig per Bluttest nach möglichen familiär bedingten Fettstoffwechselstörungen gesucht werden. Solche Störungen können zu erhöhten Cholesterinwerten führen, die wiederum für Ablagerungen an Gefäßwänden und Gefäßverengungen verantwortlich gemacht werden – mit entsprechend höherem Risiko für spätere Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Lauterbach geht davon aus, dass solche Tests bei der U9 jährlich bei etwa 15.000 Kindern familiäre Fettstoffwechselstörungen aufdecken könnten.
Cholesterin- und Blutdruck-„Fahndung“ auch in der Apotheke
25-, 35- und 50-Jährige sollen dann außerdem aktiv von ihren Krankenkassen angeschrieben werden, um systematisch erhöhten Blutdruck, erhöhte Cholesterinwerte und unerkannten Diabetes zu finden. Lauterbach hatte vor kurzem bereits angekündigt, dass solche freiwilligen Tests auch in Apotheken möglich gemacht werden sollen. Viele junge Menschen hätten auch noch keine Hausarztpraxis. Die schon heute bei dem/der Ärzt:in möglichen regelmäßigen „Gesundheits-Check-ups“ mit Blutuntersuchungen werden seinen Angaben zufolge noch sehr wenig in Anspruch genommen.
Einmal entdeckt heißt oft lebenslang Medikamente
Martin Schulz als Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) wies nach dem Gespräch mit Lauterbach am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz darauf hin, dass es nicht nur um Früherkennung gehe, sondern im Falle einer Feststellung hoher Werte dann auch um eine langfristige, engmaschige Begleitung von Patient:innen. „Das müssen wir vermitteln, dass es eine lebenslange Therapie wird.“ Die meisten dieser Patient:innen müssten mit Medikamenten behandelt werden, sagte Lauterbach, da bei ausgeprägter Hypertonie (Bluthochdruck) oder einer Fettstoffwechselstörung Bewegung und eine Ernährungsumstellung allein nicht ausreichten, um die Risiken abzusenken. Die Medikamente seien aber preiswert, erfolgreich und relativ nebenwirkungsarm.
Blutdruckmessgerät zu Weihnachten
Experten begrüßen die Pläne des Gesundheitsministers. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) und die Deutsche Herzstiftung hielten diese nicht nur für notwendig, sondern für längst überfällig, sagte der Berliner Kardiologe Benny Levenson nach dem Treffen mit Lauterbach. „Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen tun solange nicht weh, bis das Kind in den Brunnen fällt.“ Es sei schön, dass in Deutschland viele Leute zu Geburtstagen und Weihnachten Blutdruckmessgeräte verschenkten, weil damit Menschen zum/zur Ärzt:in kämen, die vorher nichts von ihrem hohen Blutdruck gewusst hätten. „Das ist tatsächlich bisher unser Aufgreifsystem, das wir haben. Aber das hat eher was mit Steinzeit zu tun als mit 21. Jahrhundert im digitalem Zeitalter.“
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