Die Abgabe der Pille danach darf nicht verweigert werden – auch nicht bei einem Gewissenskonflikt. Das hat der Senat für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg in einem Urteil deutlich gemacht. Außerdem sind Arzneimittel zur Notfallverhütung vorrätig zu halten. Aufgrund des Apothekenmonopols besteht zusätzlich ein Kontrahierungszwang auch für apothekenpflichtige Arzneimittel.
Weil ein Apotheker mehrfach die Abgabe der Pille danach verweigert hatte – nach Vorlage eines Rezeptes und auch im Notdienst – wurde von der Berliner Apothekerkammer ein Verfahren eingeleitet, da Kundinnen sich beschwert hatten. Stattdessen hatte der Pharmazeut den Frauen Zettel mit religiös und weltanschaulich motiviertem Inhalt vorgelegt sowie einer Frau nach Hause geschickt und damit gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen.
Das Berufsgericht für Heilberufe eröffnete schließlich das berufsgerichtliche Verfahren und verhängte eine Warnung gegen den Apotheker. Argumentiert wurde damit, dass der Kontrahierungszwang den letzten Schritt ausfülle, der zur Erfüllung des Sicherstellungsauftrags von Apotheken nach § 1 Apothekengesetz (ApoG) erforderlich sei. Demnach obliege den Apotheken die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln – Human- und Tierarzneimittel.
Die Frage, ob Gewissensgründe zur Durchbrechung des Kontrahierungszwangs führen könnten, sei umstritten, so die Richter. Allerdings entschieden sie auch, dass aus § 17 Absatz 4 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) keine Pflicht zur Vorratshaltung folge – weder für Rx- noch für OTC-Arzneimittel.
Die Kammer legte Berufung ein. Auf gesetzlicher Ebene gebe es keine Einschränkungen der Abgabepflicht und des Kontrahierungszwangs aus Gewissensgründen. Der umfassende Versorgungsauftrag stelle keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Gewissensfreiheit dar. Zudem habe der Apotheker vorsätzlich gehandelt. Die Kammer forderte, einen Verweis gegen den Pharmazeuten zu erteilen.
Absichtliche Nichtbevorratung
Der Fall wurde am Senat für Heilberufe beim OVG Berlin-Brandenburg verhandelt. Dieses kam zum Schluss, dass der Apotheker in beiden Fällen mit der Verweigerung der Abgabe der Pille danach den Tatbestand eines Berufsvergehens gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Kammergesetz (KammerG) verwirklicht habe und sich nicht mit Erfolg auf seine Gewissensfreiheit berufen könne. Zurecht werde ihm vorgeworfen, mit der Verweigerung der Abgabe seine Berufspflicht, als selbständiger Apotheker die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, verletzt zu haben.
Außerdem klärten die Richter die Frage der Pflicht zur Bevorratung – in der Apotheke war das Präparat nicht an Lager gelegt worden, damit es nicht abgegeben werden musste. § 9 Satz 1 Berufsordnung (BO) verpflichte die Apothekenleiter aber, die ordnungsgemäße Teilnahme des Betriebes am Notdienst nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und den Anordnungen der Apothekerkammer Berlin sicherzustellen. Zudem greife die Regelung für den Fall, dass die notdienstbereite Apotheke im Einzelfall die Versorgung mit dem erforderlichen Arzneimittel nicht unmittelbar vornehmen könne. Dann solle diese, soweit zumutbar, Hilfestellung bei der Beschaffung des Arzneimittels bei einer anderen Notdienstapotheke leisten. „Die Vorschrift legitimiert nicht die bewusste Nichtbevorratung, um ein bestimmtes Präparat nicht abgeben zu müssen“, so die Richter. Die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sei die erste Aufgabe des Apothekerberufs.
Kontrahierungszwang wegen Apothekenmonopol
Aus diesem Grund sei dem Apothekerberuf die Abgabe von Arzneimitteln im Wesentlichen vorbehalten. „Das gesetzliche Apothekenmonopol geht mit einem umfassenden Versorgungsauftrag einher“, so das Gericht. „Als Folge des Apothekenmonopols besteht für die Abgabe von apothekenpflichtigen Arzneimitteln gemäß § 43 Abs. 1 AMG Kontrahierungszwang.“
Bevorratung ist Pflicht
Zudem regele die Apothekenbetriebsordnung, wie die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten sicherzustellen sei. Dabei werde weder in notwendige und nicht notwendige Arzneimittel noch in Präparate zur Gesunderhaltung im engeren und weiteren Sinn differenziert. „Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO hat der Apothekenleiter die Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht“, führen die Richter an. Außerdem sollten die benannten Notdienstmedikamente und Medizinprodukte nach § 15 ApBetrO vorrätig gehalten werden oder eine kurzfristige Beschaffung gesichert sein.
Zwar variiere der durchschnittliche Bedarf von Apotheke zu Apotheke und hänge von verschiedenen Faktoren ab. Auch werde die Pille danach nicht in § 15 ApBetrO genannt. Dennoch gebe dies nichts für die Annahme her, dass Notfallkontrazeptiva nicht dem Versorgungsauftrag unterlägen.
Versorgungsauftrag auch für Pille danach
Dass in der Apotheke ein regelmäßiger Bedarf an der Pille danach bestand, sei unstrittig. Als Apothekenleiter bestand die Pflicht, diesen Bedarf zu decken. „Das Apothekenrecht sieht keine Befreiung von der Bevorratungs- und Abgabepflicht aus in der Person des Apothekers liegenden Gründen vor.“ Und auch für die Überlegung, die Kundinnen könnten auf nahegelegene andere Apotheken ausweichen, lasse die ApBetrO keinen Raum.
„Die in der Apothekenbetriebsordnung näher ausgestaltete Pflicht des selbständigen Apothekers, den in seiner Apotheke nachgefragten Bedarf an Arzneimitteln zu decken, ist Kernvoraussetzung für eine geordnete Arzneimittelversorgung“, so das Gericht. „Diese wäre gefährdet, wenn Apotheker zugelassene apothekenpflichtige Arzneimittel aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht abgeben und insoweit auf andere Apotheken verweisen dürften.“ Der Versorgungsauftrag überwiege die Gewissensfreiheit des einzelnen Apothekers.
Pille danach ist kein Abortivum
Der Apotheker hatte angeführt, die Pille danach nicht abgegeben zu haben, weil er ungeborenes Leben schützen wolle, das mit der Befruchtung der Eizelle beginne. Doch die Richter ließen die Begründung nicht gelten und kontern: „Notfallkontrazeptiva sind keine Abortiva, mit denen eine bestehende Schwangerschaft abgebrochen wird.“ Der Apothekenleiter dufte die Abgabe der Pille danach nicht aus Gewissensgründen verweigern.
Zudem habe der Apotheker vorsätzlich und in dem Bewusstsein gehandelt, seinem apothekenrechtlichen Versorgungsauftrag nicht gerecht zu werden. Allerding sei dem Apotheker kein Schuldvorwurf zu machen: Denn es handele derjenige ohne Schuld, dem bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Das war aus Sicht des Gerichtes beim Beschuldigten der Fall.
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