Auch in Deutschland befürchten Fachleute eine rasche Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus. Zwei Impfungen gelten als nicht ausreichend für den Schutz vor einer Infektion. In Berlin sollen Booster-Impfungen deshalb noch früher verabreicht werden.
Wegen der befürchteten Infektionswelle durch die neue Omikron-Variante des Coronavirus verkürzt Berlin den Abstand zwischen Zweit- und Booster-Impfung. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kündigte am Montag an, dass Corona-Impfungen nach drei statt fünf Monaten aufgefrischt werden können. Dazu Fragen und Antworten:
Wieso wird der Abstand verkürzt?
Die Infektionszahlen in Berlin sind bereits durch die Delta-Variante auf einem sehr hohen Niveau. In mehr als jedem fünften Intensivbett liegt ein/e Covid-19-Patient:in, nicht dringliche Operationen werden verschoben. Expert:innen befürchten eine Ausbreitung der offenbar noch ansteckenderen Omikron-Variante innerhalb weniger Wochen. „Wir befinden uns in (einer) sehr kritischen Phase vor einer Omikron-Welle, wo jede Booster-Impfung zählt. Rechnen mit zeitnahen Stiko-Empfehlung“, schrieb Kalayci bei Twitter. „Es macht kein Sinn, boosterwillige Menschen zurückzuschicken, obwohl früheres Boostern empfohlen.“ Sie scheidet am Dienstag aus dem Amt, weil dann der neue Senat seine Arbeit beginnt.
Was sagt die Ständige Impfkommission (Stiko)?
Die Stiko empfiehlt bisher, dass eine Auffrischungsimpfung in der Regel im Abstand von sechs Monaten zur vorigen Dosis erfolgen soll. Eine Verkürzung des Abstandes auf fünf Monate kann laut Stiko „im Einzelfall oder wenn genügend Kapazitäten vorhanden sind, erwogen werden“. Kalayci geht jedoch davon aus, dass auch die Stiko eine kürzere Frist empfehlen wird. „Wir erwarten, dass die Stiko in Kürze entscheidet“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Berlin hatte den Abstand für den Booster Mitte November bereits auf fünf Monate verkürzt. Inwieweit niedergelassene Ärzt:innen zunächst weiter nach Stiko-Empfehlung impfen oder sich nun Kalayci anschließen, war zunächst offen.
Was ist die Situation in den Arztpraxen?
Kalaycis Vorhaben sei nachvollziehbar, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Viele Praxen würden aber voraussichtlich auf eine Empfehlung der Stiko warten. Bereits jetzt sei die Anzahl an Impfungen in den Praxen durch fehlende Impfstoffdosen limitiert. Diese Situation werde durch eine Verkürzung des Booster-Impfabstandes weiter verschärft. Aufgrund des knappen Impfstoffes sei davon auszugehen, dass die Impfkapazitäten in den Praxen bis Weihnachten auch ohne die neue Regelung des Berliner Senats voll ausgeschöpft seien.
Wie viele Menschen sind bisher in Berlin zum dritten Mal geimpft?
1,17 Millionen Menschen haben in der Hauptstadt bereits eine dritte Impfung erhalten. Das sind nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) 32 Prozent der Einwohner:innen. Besonders relevant: Bei den Menschen ab 60 Jahren, die ein höheres Corona-Risiko haben als Jüngere, sind es fast 62 Prozent. Das ist deutlich mehr als im Bundesschnitt. Insgesamt sind 70,7 Prozent mindestens zwei Mal geimpft (knapp 2,6 Millionen Einwohner:innen). Damit liegt die Hauptstadt im vorderen Bereich aller Bundesländer.
Was sagen andere Expert:innen zum Boostern?
Biontech-Gründer Ugur Sahin hatte sich angesichts der Ausbreitung der Omikron-Variante für eine frühere dritte Impfung ausgesprochen. „Mit Blick auf Omikron sind zwei Dosen noch keine abgeschlossene Impfung mit ausreichendem Schutz. Wenn sich Omikron, wie es aussieht, weiter ausbreitet, wäre es wissenschaftlich sinnvoll, bereits nach drei Monaten einen Booster anzubieten“, sagte er kürzlich dem „Spiegel“.
Auch nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA von vor rund anderthalb Wochen können Booster-Impfungen schon nach drei Monaten erfolgen. Ungeachtet der Empfehlungen, die Auffrischung nach sechs Monaten zu verabreichen, „sprechen die derzeit verfügbaren Daten für eine sichere und wirksame Auffrischungsdosis bereits drei Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung“, hatte der EMA-Direktor für Impfstrategie, Marco Cavaleri, am 9. Dezember gesagt.
Warum soll es jetzt so schnell gehen?
Die Omikron-Variante des Coronavirus hat sich durch Mutationen stark verändert im Vergleich zu früheren Mutanten. Sie gilt als sogenannte Immunflucht-Variante. Antikörper von Geimpften und Genesenen sprechen darauf schlechter an. Anders gesagt: Die erste Abwehrlinie des menschlichen Immunsystems kann nach bisherigen Erkenntnissen leichter von Omikron überwunden werden. Eine Booster-Impfung erhöht den Antikörperspiegel wieder. Expert:innen nehmen an, dass der Schutz Geimpfter vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron erhalten bleiben dürfte. Es gilt unter Fachleuten als unwahrscheinlich, dass Omikron per se mildere Krankheitsverläufe verursacht.
Wie gut ist der Schutz der Auffrischung gegen Omikron?
Besser als nach zwei Impfungen, aber keineswegs perfekt. Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek etwa warnte vorige Woche vor überhöhten Erwartungen an die Auffrischungsimpfung und vor Nachlässigkeit bei Verhaltensregeln. „Im Moment habe ich das Gefühl, dass vermittelt wird: Lassen Sie sich boostern und die Welt ist wieder gut. Das ist nicht so.“ Sie verwies auf Fälle von bereits geboosterten Menschen, die sich selbst infiziert und auch andere Personen angesteckt hätten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) twitterte am Sonntag, der wahrscheinlichste Wert seien 70 bis 80 Prozent Schutz vor einer Infektion mit Symptomen. Ohne Booster sei der Schutz zu schwach. Auch die Zeit, die seit dem Booster vergangen ist, spielt laut Ciesek eine Rolle: Nach einigen Monaten falle der Schutz vor Infektion erneut ab.
Bekommt man schnell einen Termin für die dritte Impfung?
Laut Senat ist genügend Impfstoff vorhanden – sowohl für Erwachseneals auch für Kinder. In mehreren Impfzentren ließen sich am Montag kurzfristige Termine für über 30-Jährige für die Auffrischungsimpfung buchen. In der Messe Berlin gab es Termine mit dem Moderna-Impfstoff ab Dienstagnachmittag (21. Dezember). Auch an den folgenden Tagen wurden viele Zeiträume angeboten. Das gleiche galt für den früheren Flughafen Tegel und das ICC (beide Moderna). Jüngere Menschen unter 30 Jahren müssen etwas mehr Geduld haben, für sie gab es in manchen Impfzentren erst Termine ganz kurz vor oder nach Weihnachten.
Allerdings bieten viele weitere Impfstationen in Einkaufszentren und anderen Einrichtungen die Spritze ohne Terminvereinbarung an. Ob es lange Wartezeiten gibt, wird über ein Ampelsystem angezeigt. Hier standen am Montag die meisten Ampeln für die nächsten Tage auf Grün.
Welche Impfreaktionen drohen beim Booster und könnte die Weihnachtsfeier dadurch beeinflusst werden?
Direkte Nachwirkungen der ersten Impfungen waren bei vielen Menschen sehr unterschiedlich. Manche spürten nichts, andere lagen einen oder zwei Tage im Bett. Über die dritte Impfung schreibt das RKI mit Blick auf die Zulassungsstudien der mRNA-Impfstoffe: „Die Häufigkeit und die Art möglicher Impfreaktionen und Nebenwirkungen nach Auffrischungsimpfung sind vergleichbar mit denen nach der 2. Impfstoffdosis.“ Schwere unerwünschte impfstoffbezogene Ereignisse seien nicht aufgetreten, auch keine Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung. Auf Alkohol soll man allerdings kurz nach der Impfung generell verzichten.
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