EuGH-Verbot für DocMorris-Gutscheine
Die Rx-Boni von Versandapotheken sind schon als Werbung für rezeptpflichtige Medikamente unzulässig, jedenfalls sofern es sich um Gutscheine für nachfolgende Käufe handelt. Und: Die deutschen Vorschriften, die auch Geldprämien und Barrabatte verbieten, verstoßen unter Umständen nicht gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) soeben entschieden. Damit hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Argument mehr in der Hand, um die Werbeaktionen von DocMorris & Co. zu stoppen – und Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe gegenüber der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) zurückzuweisen.
Werbung für Rx-Arzneimittel ist laut EU-Richtlinie verboten; diese Vorschrift lässt sich laut EuGH auch auf Boni anwenden, zumindest wenn sie in Form von Gutscheinen auf nachfolgende Käufe gewährt werden. Anders sieht es bei Barrabatten aus, die sofort etwa von der Zuzahlung abgezogen werden.
Die deutschen Vorschriften verstoßen laut EuGH daher nicht gegen die im EU-Recht verankerte Warenverkehrsfreiheit – sofern es um das Verbot von Gutscheinen geht. Laut § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) ist es dem Grunde nach verboten, „Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren“ – insbesondere „soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes oder des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gelten“.
Eigentlich sind Rx-Boni auf Kassenrezept nach deutschem Recht also unzulässig, doch um die wieder vermehrt ausgelobten Rabatte und Gutschriften der Versender kümmert sich hierzulande niemand. Die Vorlage des BGH war zur Klärung der Frage gedacht, ob man eine Sperre über das europäische Werbeverbot für Rx-Medikamente erwirken könnte.
EU-Vorgaben für Werbung
Die Vorgaben für Werbung im Arzneimittelbereich sind einheitlich geregelt.
- Laut Artikel 86 dieser Richtlinie werden als „Werbung für Arzneimittel‘ alle „Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“ erfasst.
- Laut Artikel 87 muss Arzneimittelwerbung „einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt“ und „darf nicht irreführend sein“.
- Laut Artikel 88 sind die Mitgliedstaaten sogar verpflichtet, die Öffentlichkeitswerbung für Rx-Arzneimittel zu verbieten. Außerdem sind sie berechtigt, in ihrem Gebiet die Öffentlichkeitswerbung für erstattungsfähige Arzneimittel zu untersagen.
Gefährlicher Mehrverbrauch
Laut EuGH fällt nicht jede Werbeaktion für unbestimmte Arzneimittel automatisch in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Ihre Anwendbarkeit setzt voraus, dass eine solche Aktion darauf abzielt, die ärztliche Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern.
In diesem Fall steht die Richtlinie nach Auffassung des Gerichtshofs einem Verbot solcher Werbeaktionen im nationalen Recht nicht entgegen: Da sich ein Verbraucher zwischen dem Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und dem Kauf anderer Produkte – wie von Gesundheits- und Pflegeprodukten – entscheiden kann, stellen solche Gutscheine nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel diesen anderen Produkten gleich und lenken den Verbraucher so von einer sachlichen Prüfung der Frage ab, ob die Einnahme dieser Arzneimittel erforderlich ist.
Arzt hat schon entschieden
Ist dies nicht der Fall, findet die Richtlinie laut EuGH keine Anwendung. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie auf Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags oder in Gestalt einer Prämie, deren genaue Höhe im Vorhinein nicht ersichtlich ist, nicht anwendbar ist.
Solche Werbeaktionen bezögen sich tatsächlich nur auf die Entscheidung für die Apotheke und förderten nicht den Verbrauch solcher Arzneimittel. Wenn ein Kunde ein Rezept erhalte, bleibe ihm im Hinblick auf das verschreibungspflichtige Arzneimittel nämlich nur noch die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es beziehe.
Die Richtlinie verwehre es daher nicht, dass solche Werbeaktionen in Gestalt eines bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrags nach deutschem Recht erlaubt seien.
Mitgliedstaaten dürfen verbieten
Allerdings darf ein Mitgliedstaat Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel, mit denen eine Prämie angeboten wird, deren genaue Höhe für den Kunden im Vorhinein nicht ersichtlich ist, auf der Grundlage anderer unionsrechtlicher Bestimmungen aus Verbraucherschutzgründen verbieten – was Deutschland laut EuGH getan hat. Mit einem solchen Verbot könne nämlich verhindert werden, dass die Verbraucher die Höhe der Prämie überschätzten. Diese spezielle Antwort lieferte der EuGH, weil eine Aktion von DocMorris entsprechend ausgestaltet war. Gerade Chroniker, die hohe Kosten im Arzneimittelbereich hätten, könnten so getäuscht werden.
BGH muss entscheiden
Entscheiden muss am Ende der BGH, der den Fall in Luxemburg vorgelegt hatte. Nach dem EuGH-Urteil können die Richter auf § 7 HWG verweisen. Allerdings könnte es gut sein, dass die Versender weiterhin die Zuzahlung erlassen, Shop Apotheke hatte seinen Bonus zuletzt auf einen solchen Sofortrabatte, dessen Restwert verfällt, umgestellt. Allerdings könnte hier womöglich wieder mit der Steuerungswirkung der Eigenbeteiligung ganz neu argumentiert werden; darauf ist der EuGH nicht eingegangen.
Streitig waren im konkreten Fall Werbeaktionen von DocMorris, gegen die die AKNR erfolgreich vorgegangen war, die nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Boni aus dem Jahr 2016 aber laut Versender zu unrecht untersagt worden waren. Der Versender forderte daher Schadenersatz in Höhe von 18,5 Millionen Euro.
Das dürfte vom Tisch sein, denn selbst die unmittelbar gewährten Preisnachlässe waren in ihrer genauen Höhe im Vorhinein nicht ersichtlich.
Zweite Chance für Rx-Preisbindung
Die Richter in Karlsruhe hatten bei ihrer Vorlage keinen Anlass gesehen, noch einmal über die Rx-Preisbindung zu sprechen. Egal, ob sie wie früher im § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) oder heute in § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) verankert ist: Laut BGH wurde der Festpreis, was ausländische Versender angeht, durch das EuGH-Urteil ein für allemal für unzulässig erklärt.
Auch der BGH hielt die Rx-Boni nicht schon für unzulässig nach Artikel 88 der Richtlinie, derzufolge jegliche Werbung für Rx-Medikamente generell untersagt ist. Die Aktionen hätten den Zweck, „dass sich ein Patient beim Bezug eines ihm bereits verschriebenen Arzneimittels für eine bestimmte Apotheke entscheidet“. Und weiter: „Preiswerbung beim Vertrieb verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist Bestandteil des Wettbewerbs und wird nicht […] erfasst.“
Im Mai wird ein weiteres Vorlageverfahren beim EuGH verhandelt; womöglich wird hier dann noch einmal inhaltlich über die Rx-Preisbindung gesprochen.
Kritik an Schlussanträgen
Generalanwalt Maciej Szpunar hatte, was die Werbung angeht, gar kein Risiko gesehen, Experten hatten seine Schlussanträge kritisiert. Laut Professor Dr. Elmar Mand waren sie geprägt von einer „beachtlichen Knappheit“, die mit ihrer einseitigen Sichtweise der Komplexität der Problematik überhaupt nicht gerecht würden. „Hier wurden verschiedene Aspekte übersehen, die im Verfahren eigentlich umfassend vorgetragen wurden.“
Insbesondere der Verweis auf den verordnenden Arzt greife viel zu kurz: „Wenn der Arzt jeden Missbrauch verhindern könnte, dann wäre es gänzlich unplausibel, die Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Medikamente überhaupt zu verbieten. Dann dürfte es auch keinen Unterschied machen, ob Hersteller oder Apotheken den Absatz durch Werbemaßnahmen gegenüber dem Publikum zu fördern versuchen – weil nach dieser Theorie ja alles ohnehin zuverlässig vom Arzt kontrolliert und jeder Fehlgebrauch oder gar Missbrauch verhindert wird.“
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