Das sind die Probleme, wenn die Humaninsuline fehlen
Die Uhr tickt. Humaninsuline stehen vor dem Aus. Sanofi hat bereits 2023 die Humaninsuline vom Markt genommen und Novo Nordisk den sukzessiven Rückzug der einzelnen Produkte angekündigt. Bleibt nur noch Eli Lilly. Dass das Unternehmen auf Dauer Humaninsuline herstellen wird, ist für die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) fraglich. In einem gemeinsamen Statement warnen die Institutionen vor den Problemen, die ein Marktrückzug der Humaninsuline mit sich bringt. Denn eines ist klar: „One-Size-fits-all“ gibt es bei der Diabetes-Behandlung nicht.
Novo Nordisk hatte im Herbst Ärzt:innen über eine „Angebotsanpassung“ informiert. Levemir (Insulin detemir) und die Humaninsuline Actrapid, Actraphane und Protaphane werden nach und nach bis Ende 2026 in Deutschland aus dem Sortiment verschwinden. Die Politik muss jetzt handeln, so AkdÄ und DEGAM. „Es müssen rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden, dass die Entscheidung von Novo Nordisk revidiert oder durch eine öffentlich geförderte Produktion beispielsweise in Osteuropa und deren Import nach Deutschland die weitere Versorgung sichergestellt wird.“ Schließlich wurde Humaninsulin von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Liste der notwendigen Medikamente aufgenommen und müsse daher verfügbar bleiben.
Zwar sei der politische Handlungsspielraum gegenüber der pharmazeutischen Industrie in einem solchen Fall eher begrenzt, dennoch gebe es Möglichkeiten, regulierend einzugreifen oder Incentives zu setzen. Ein Beispiel sei es, interessierte Hersteller in anderen Ländern durch Abnahmegarantien zu unterstützen.
Behandelt wird mit Insulinanaloga und Humaninsulinen. Der Anteil letzterer liegt derzeit bei 20 Prozent. Beide Optionen haben ihre Berechtigung. „Es gibt in der Diabetes-Therapie kein ‚One-Size-fits-all‘: Für die einen passt das eine, für die anderen das andere Medikament besser“, so DEGAM-Präsident Professor Martin Scherer. „Wenn es keine Humaninsuline mehr gibt, gehen uns in der Praxis wichtige Therapieoptionen für bestimmte Patientengruppen verloren.“ Die Versorgung verschlechtert sich und gleichzeitig steigen die Kosten. Denn: Insulinanaloga sind rund zwei Drittel teurer. Die geschätzten Mehrkosten würden sich auf rund 44 Millionen Euro belaufen.
Zudem weist die DEGAM darauf hin, dass es bis heute keine wissenschaftliche Evidenz für einen für alle geltenden Vorteil von Insulinanaloga gegenüber dem Humaninsulin gibt. Beispielsweise könne bislang nicht ausgeschlossen werden, dass Insulinanaloga möglicherweise mitogene Effekte haben könnten.
DEGAM und AkdÄ weisen neben fehlenden Alternativen und Kostensteigerungen auf weitere Probleme hin, die ein Aus von Humaninsulinen mit sich bringen kann.
- Schnell wirksame Insulinanaloga wirken für die Bedürfnisse von Menschen mit Typ-2-Diabetes oftmals zu kurz und fluten zu schnell an. Die Folge: eine ungenügende Diabetes-Einstellung wegen ausgeprägter Blutzuckerschwankungen.
- Die Kombination aus kurz und mittelfristig wirkendem NPH-Insulin ist nicht mehr möglich. Betroffene müssten unnötigerweise mit einem langwirkenden Analog-Insulin behandelt werden.
- Die Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 16. Juni 2022 wäre nicht umsetzbar. „Tagsüber wirksame Insuline sollten so lange wie möglich vermieden werden. Stattdessen sollte NPH-Insulin zur Nacht bevorzugt gegeben werden“.
- Eine Therapieumstellung bindet unnötig zeitliche Ressourcen und verunsichert die Betroffenen.
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