Medizinisches Cannabis fällt seit Anfang April nicht mehr unter die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung, sondern gilt als Rx-Arzneimittel. Laut dem Apothekerverband Nordrhein (AVNR) könnte Medizinalcannabis bald auch ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sein – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen, wie der AVNR-Vorsitzende Thomas Preis erklärt.
Die seit 1. April greifende Teillegalisierung von Cannabis hat auch bei medizinischem Cannabis für Lockerungen gesorgt, beispielsweise in Sachen Verordnung. „Bislang konnten Cannabistherapien erst durchgeführt werden, wenn andere Therapien nicht angeschlagen haben. Zum 1. April ist dieser Therapievorbehalt für Ärzte weggefallen. Zusätzlich fällt für Arztpraxen die bürokratisch aufwendige Verordnung auf Betäubungsmittelrezepten weg“, erklärt Preis.
Außerdem führe die Teillegalisierung zu einer Entstigmatisierung. Die Folge: Die Nachfrage und die Zahl der Nutzer:innen dürften steigen – und damit auch die Zahl der Eigentherapien. „Ohne heilkundliche Begleitung ist das gesundheitsgefährdend“, mahnt Preis. Denn als Bezugsquelle bleiben in diesem Fall nur der Eigenanbau, die Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club oder der Schwarzmarkt. Die Politik solle daher darüber nachdenken, „ob es sinnvoll ist, Menschen alleine zu lassen, die nur gelegentlich aus therapeutischen Gründen Cannabis anwenden wollen.“
Sein Vorschlag: Medizinalcannabis könnte künftig nur noch apotheken- statt rezeptpflichtig sein. „Es ist durchaus vorstellbar, dass Apotheken unter strengen Rahmenbedingungen kleine Mengen Cannabis und Cannabisprodukte auch ohne Rezept zu medizinischen Zwecken an Patienten abgeben“, so Preis.
Medizinalcannabis ohne Rezept, aber nicht ohne Beratung
So wäre es für die Politik nur noch ein kleiner Schritt, Cannabis in bestimmten Fällen aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, damit Patienten bestimmte Erkrankungen selbst therapieren können. Dadurch könnte medizinisches Cannabis auf die Stufe gehoben werden, auf die es auch gehört, und zwar als beratungsbedürftige Substanz. Wie Preis anführt, komme es Jahr für Jahr zu OTC-Switches bei Arzneimitteln, die mitunter ebenfalls unter bestimmten Auflagen wie Einschränkungen bei der Abgabemenge, der Dosierung, Altersbeschränkungen sowie nur bei bestimmten Erkrankungen erfolgen. Dies sei auch bei Medizinalcannabis möglich.
Die Apotheke sei in diesem Fall der richtige Abgabeort. Denn so stehe Patient:innen qualitativ einwandfreies Medizinalcannabis oder medizinische Cannabistropfen zur Verfügung, sodass nicht auf mitunter dubiose Quellen zurückgegriffen werden müsse. Ein wichtiges Kriterium für die Abgabe von Medizinalcannabis ohne Rezept ist für Preis jedoch die Beratung. „Dazu gehört auch die Aufklärung über Risiken und die richtige Anwendung – die Inhalation mit einem Verdampfer oder Cannabistropfen sind viel weniger gesundheitsschädlich als das Rauchen eines Joints. Auch der Rat, statt Cannabis andere Arzneimittel anzuwenden oder die Empfehlung eines Arztbesuches, gehört dazu. Das alles würde bei der Eigentherapie mit Cannabis aus Eigenanbau, einem Cannabis-Club oder dem Kauf auf dem Schwarzmarkt nicht stattfinden.“
Doch fest steht: Apotheken sollen nicht zu Cannabisshops werden. „Als Abgabestelle von Cannabis zu Genusszwecken oder als Cannabisshop stehen Apotheken hingegen nicht zur Verfügung.“
Achtung vor Rezeptfälschungen
Dadurch dass für Medizinalcannabis nicht mehr die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben gelten, dürfte auch die Verordnungszahl steigen. „Kurzfristig gehen wir von einer Verdoppelung der Privat-Verordnungen aus. Die Verordnungen für gesetzlich Versicherte werden nicht so schnell steigen. Denn Therapien mit Cannabis müssen weiter durch die Krankenkassen genehmigt werden.“
Zugleich warnt Preis vor möglichen Fälschungen von Cannabis-Rezepten. „Apotheken rechnen jetzt auch mit mehr Rezeptfälschungen. Denn seit 1. April kann Cannabis auf üblichen Rezepten verordnet werden. Die viel schwieriger zu fälschenden Betäubungsmittelrezepte dürfen jetzt nicht mehr für die Verordnung von Cannabis genutzt werden.“
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