Seit Jahrtausenden werden Blutegel (Hirudo medicinalis) in den verschiedensten Kulturen der Welt bei unterschiedlichen Erkrankungen angewendet. Die Blutegeltherapie kommt unter anderem bei diversen Schmerzzuständen, Gelenkproblemen und Befindlichkeitsstörungen zum Einsatz. Aber woran liegt es denn nun, dass einige Ärzt:innen, Klinikärzt:innen oder Heilpraktiker:innen auf die Wirkung der kleinen Helfer setzen?
Was ist das Geheimnis der Wirkung der kleinen Blutsauger?
Zunächst saugt sich der Blutegel mit seinem hochempfindlichen Mund an die betreffende Hautstelle an und beißt sich mit seinen drei Kiefern, die jeweils 80 Kalkzähne beherbergen, durch die Haut. Es entsteht eine kleine Wunde in Form eines „Mercedes-Sterns“ oder „Ypsilons“. Für einige Menschen fühlt sich dies wie ein Insektenstich an, für andere wie ein Griff in Brenneseln. Mit dem Saugakt injiziert der Blutegel zahlreiche Speicheldrüsenproteine in die Wunde des Wirtes.
Bisher konnten noch nicht alle Inhaltsstoffe genau identifiziert werden. Es wird aber angenommen, dass das Zusammenspiel der einzelnen bioaktiven Substanzen die schmerz- und entzündungshemmende Gesamtwirkung ausmacht. Bekannt ist zum Beispiel Hirudin, welches in der Medizin als Antikoagulans angewendet wird. Gleichzeitig gibt der Blutegel aber auch Substanzen in den Wirt ab, die eine gute Ausbreitung der anderen bioaktiven Inhaltsstoffe bewirken. Vermutet wird, dass die zahlreichen aktiven Substanzen dadurch auch in tiefere Schichten von Muskulatur und Gelenken gelangen können.
Für folgende Indikationen ist eine Blutegeltherapie gut geeignet:
- Arthrose-Schmerzen
- Sehnen- und Weichteil-Schmerzen und Entzündungen wie zum Beispiel Tennis-Ellenbogen
- Chronische Rückenschmerzen
- Chronische Beschwerden durch venöse Stauungen (Krampfadern)
- Schmerzsyndrome durch Gürtelrose
- Zur Vermeidung der Bildung und gar zur Auflösung von Thrombosen
- Erkrankungen bei entzündlich-rheumatischen Beschwerden
- Postoperativ nach Replantation abgetrennter Haut- und Körperteile zur Verbesserung der venösen Zirkulation
Vorteile einer Blutegeltherapie
Zwar gibt es nicht für alle genannten Indikationen wissenschaftliche Belege, doch zeigen die Ergebnisse des Immanuel Kant Klinikums, dass die Blutegeltherapie eine wirksame Therapie bei chronischen Schmerzsyndromen darstellt. Bereits nach einmaliger Anwendung, hält die Wirkung der Blutegel-Therapie mehrere Wochen bis Monate an, manchmal auch länger als ein Jahr. Auch die ausgeprägte schmerzlindernde Wirkung stellt einen Vorteil gegenüber anderen Verfahren dar.
Auch interessant: Greifswalder Forscher:innen untersuchten den Speichel der Blutegel genauer
Die internationale, biowissenschaftliche Online-Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlichte eine Studie von Wissenschaftler:innen des Zoologischen Instituts der Universität Greifswald, in welcher es gelang, einige Speicheldrüseninhaltsstoffe der Blutegel zu quantifizieren. Insgesamt konnten zwanzig Speichelproteine nachgewiesen werden, die physiologische Prozesse im Körper beeinflussen können. Hierbei ging es auch um die Frage, ob während einer Blutegeltherapie ausreichend wirksame Substanzen vom Blutegel auf den Wirt übertragen werden können, um überhaupt eine Wirkung zu erzielen. Die Forscher:innen mussten zunächst herausfinden, wie viel Speicheldrüsensubstanz ein Egel speichern und wieviel er während des Saugaktes abgeben kann.
Die Wissenschaftler:innen konnten nachweisen, dass ein Blutegel beim Saugakt 1,2 mg Protein in die Wunde injiziert. Befinden sich ausreichend große Anteile der injizierten Speichelproteine im Kreislauf, so gelangen mehr als 20 Speichelproteine mit Konzentrationen zwischen 3 und 236 pmol/l in den Körper. Hirudin wirkt schon in einer Konzentration von 1 pmol/l hemmend auf die Blutgerinnung.
Das Fazit der Studie: Es existieren mindestens 20 weitere Inhaltsstoffe des Blutegelspeichels, die möglicherweise in wirksamen Konzentrationen auf den Menschen übertragen werden könnten.
Rechtliches für die Apotheke
Medizinische Blutegel zur Anwendung in der Humanmedizin gehören zu den Arzneimitteln, gemäß § 2 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Nach § 4 Absatz 1 AMG fallen sie auch unter den Begriff des Fertigarzneimittels und sind somit zulassungspflichtig. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Leitlinien zum sicheren Umgang und zur Sicherstellung von Qualität und Unbedenklichkeit veröffentlicht. Neben den Anforderungen an die Fütterung und Quarantänehaltung der Blutegel, müssen die Blutegelchargen auch zurückverfolgt werden können. Hierbei besteht für die Apotheke aber keine Dokumentationspflicht, sondern die Hersteller und Anwender werden dabei in die Pflicht genommen. Ebenfalls braucht nicht nach Transfusionsgesetz dokumentiert werden.
Nach § 20 der Apothekenbetriebsordnung muss die Apotheke allerdings bei der Abgabe der Blutegel ihren Beratungspflichten nachkommen. Besonders praktisch erweist es sich, den Kund:innen über das Eintreffen der Blutegel in der Apotheke zu informieren. Bei längerer Verweildauer der Blutegel in der Apotheke sollten diese im Kühlschrank aufbewahrt werden.
Wichtig ist auch, den/die Patient:in darüber aufzuklären, dass Blutegel vor der Anwendung noch einmal abgespült werden, und dass die Blutegel niemals mit Gewalt vom Körper genommen werden sollten. Auf gar keinen Fall sollte ein schon einmal eingesetzter Blutegel wieder verwendet oder in einen Teich ausgesetzt werden. Am besten werden die vollgesogenen Blutegel ganz einfach eingefroren und sachgerecht entsorgt.
Können die Kosten der Blutegeltherapie übernommen werden?
Grundsätzlich werden die Pauschalvergütungen im Rahmen einer stationären Behandlung übernommen. Bei einer ambulanten Therapie müssen die Kosten von den Patient:innen getragen werden.
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