513 Lieferengpässe sind derzeit auf der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu finden. Darunter Antibiotika, Schmerzmittel, Asthmatherapeutika und die Wirkstoffkombi Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil zur HIV-Prophylaxe (PrEP). „Uns droht ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen“, appelliert Stefan Mauss, Vorstandmitglied der Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner:innen (dagnä).
Die Kostenübernahme für die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) durch die Kassen ist seit 2019 im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) geregelt, und zwar für gesetzlich Versicherte ab 16 Jahren, die ein erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion haben, darunter Partner:innen von HIV-Patient:innen, homosexuelle Männer, die Sex ohne Kondom haben/hatten. Ziel ist es, das Infektionsgeschehen beziehungsweise die Zahl der HIV-Neuinfektionen einzudämmen. Doch die Arzneimittel sind von Lieferengpässen betroffen. Die Arzneimittel werden knapp, warnen die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG), die Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner:innen (dagnä) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA).
Konkret gibt es Lieferprobleme der Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil. Seit Mitte Oktober haben sich diese offenbar massiv verschärft. Ein Problem: Denn die Kombination ist hierzulande die einzige, die zur PrEP zugelassen ist. Rund 32.000 Menschen schützen sich derzeit mit der Wirkstoffkombination vor einer HIV-Infektion.
„Uns gehen die Vorräte aus, wir können gerade nur irgendwie versuchen, die Löcher in der Versorgung zu stopfen“, sagt DAHKA-Vorstand Erik Tenberken. So könne derzeit kein Hersteller die bestellten Mengen zur Verfügung stellen, die meisten würden im Moment überhaupt nicht liefern. „Wir hören zum Teil, dass es erst Ende Januar wieder Nachschub geben soll.“ Viele Kollegen können seit Wochen nicht mehr versorgen. „Es ist eine Katastrophe.“
„Uns droht ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen“, so Mauss. Hinzukommt, dass die Wirkstoffkombination nicht nur als PrEP zum Einsatz kommt, sondern wichtiger Bestandteil der antiretroviralen Therapie von HIV-Patient:innen ist. „Hier können wir nur versuchen, die Therapie auf andere Medikamente umzustellen – was meist viel teurer wird und vermehrt zu Nebenwirkungen führen kann.“
Tenberken und Mauss sehen vor allem die Politik in der Pflicht, etwas gegen die eskalierenden Lieferprobleme zu unternehmen. Außerdem werden die Hersteller zum Handeln aufgefordert. „In den europäischen Nachbarstaaten gibt es keine Lieferschwierigkeiten in diesem Umfang“, sagt Mauss. Es sei Zeit, dass die regierenden Parteien die Ursachen ehrlich analysieren und für strukturelle Änderungen sorgen. „Das Geschäft mit generischen HIV-Medikamenten ist im Ausland einfach lukrativer“, sagt Tenberken. „Die Hersteller scheinen das Interesse am deutschen Markt zu verlieren.“
Tenofovir und Emtricitabin gehören zu den nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) und verursachen nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ einen Kettenabbruch während der Umschreibung der Virus RNA.
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