Viele Praxen sind wegen grassierender Atemwegsinfekte gerade voll – zugleich stockt der Nachschub bei bestimmten Arzneimitteln nicht nur für Kinder. Rufe nach einem schnelleren Krisenmanagement werden laut. Wegen Lieferengpässen bei manchen Medikamenten in der akuten Infektionswelle fordern die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) konkrete Abhilfe vor Ort.
„In der aktuellen Situation sind die Apotheken und ihre Kompetenzen gefordert“, sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, am Freitag. Sie könnten etwa Fiebersäfte mit Rezepturen selbst anfertigen und bekämen das bezahlt. Apotheken und Großhandel seien aufgerufen, dringend benötigte Arznei nicht zu horten. Die Krankenhausbranche befürwortet angesichts einer vielerorts angespannten Personallage ein Ende der Isolationspflicht für corona-infizierte Klinikbeschäftigte ohne Krankheitssymptome.
Zuletzt gab es Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläutert hatte. Um Problemen gegenzusteuern, hat er für die kommende Woche auch einen Gesetzentwurf angekündigt.
Das Ministerium weist darauf hin, dass nicht alle Lieferengpässe auch Versorgungsengpässe bedeuten. Für Apotheken bringen die Engpässe mehr Aufwand, Alternativen für nicht lieferbare Präparate zu finden. GKV-Chefin Pfeiffer sagte mit Blick auf die Apotheken: „Wir vertrauen darauf, dass in dieser Notsituation das Fachpersonal den Patientinnen und Patienten mit Rat und Tat beiseite steht.“ Sie monierte zugleich: „Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass kranke Kinder unter der aktuell mangelnden Lieferfähigkeit der Pharmaindustrie zu leiden haben.“ Die Transparenz über die Verfügbarkeit müsse weiter erhöht werden, damit es nicht zu so gravierenden Auswirkungen komme, wenn bestimmte Mittel nicht lieferbar sind. Nötig seien Meldepflichten für Unternehmen und zu Nicht-Verfügbarkeiten durch den Pharma-Großhandel und Apotheken.
Der Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge forderte, Lauterbach müsse die Länder, Hersteller und Großhändler an einen Tisch holen. Dabei müsse man sich noch vor Jahresende über alternative Beschaffungs- und Verteilungsmöglichkeiten abstimmen. „Es braucht jetzt schnelle Entscheidungen“, sagte der CDU-Politiker. Allein die Ankündigung von Gesetzen helfe Kindern und ihren Eltern nun nicht weiter.
Die Bundesregierung will außerdem das Vergaberecht ändern. Ziel ist, Lieferketten breiter anzulegen, um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu verringern. Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte: „Wir müssen die Produktion von Arzneimitteln wieder zurück nach Europa holen.“ Dafür sollten Anreize gesetzt werden. Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung, sagte im ZDF: „Vielleicht muss man auch diskutieren, dass wir bundeseigene Produktionsstätten brauchen für lebenswichtige Medikamente.“
In Praxen sind Lieferengpässe ebenfalls zu spüren. „Das Problem ist nicht neu, das Ausmaß schon“, sagte die Vize-Vorsitzende des Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Viele Medikamente könnten durch andere ersetzt werden. Das erfordere aber Aufklärung. „Gerade jetzt, wo die Hausarztpraxen aufgrund der starken Infektionswellen brechend voll sind, ist das eine zusätzliche zeitliche Belastung, die nur bedingt leistbar ist.“ Generell angespannt ist die Lage auch in vielen Kliniken. „Wir haben so wenig freie Intensivbetten, wie wir es in der ganzen Pandemie nicht hatten“, sagte Karagiannidis, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin ist, im ZDF. Notaufnahmen und Normalstationen seien „ziemlich voll“, sodass „wir im Prinzip fast nicht mehr handlungsfähig sind.“ Im Gegensatz zu Corona habe man aber die Aussicht, dass die Welle „jetzt irgendwann“ den Höhepunkt erreiche und dann wieder runtergehe.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sprach sich für ein Ende der Corona-Isolationspflicht für Klinikbeschäftigte ohne Symptome aus. „Wir erkennen mittlerweile auch in unseren Nachbarstaaten, dass die Pandemie zunehmend an Gefahr verloren hat“, sagte Vorstandschef Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Deshalb sei eine Aufhebung der Pflicht zu rechtfertigen, gerade angesichts teils dramatischer Personalengpässe in Krankenhäusern. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warnte vor einer Aufhebung. „Wie das Stoppschild im Straßenverkehr Gefahren regelt, so wirkt die Isolationspflicht bei Corona: Sie schützt andere“, sagte er dem RND.
Das könnte dich auch interessieren
Mehr aus dieser Kategorie
Kinderkrankentage: Verringert Teilzeit den Anspruch?
Sowohl in diesem als auch im kommen Jahr können berufstätige Eltern jeweils bis zu 15 Kinderkrankentage beanspruchen. Ihr Gehalt bekommen …
Diamorphin: Zugang zu „Heroin“ auf Rezept soll erleichtert werden
Diamorphin kommt in der Substitutionstherapie zum Einsatz. Seit 2009 gibt es das „Heroin“ auf Rezept. Seitdem ist die Zahl der …
Adexa-Positionspapier: Aufstiegschancen für PTA
Am 16. Dezember stellt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage und ebnet damit den Weg für Neuwahlen. An die neue …