Weil ein Angestellter drei Kolleginnen sexuell belästigt haben soll, wurde dieser entlassen. Doch das Gericht erklärte die Kündigung für rechtsunwirksam. Der Fall wurde ein weiteres Mal verhandelt und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung von 80.000 Euro Abfindung aufgelöst. Sexuelle Belästigung ist „kein absoluter Kündigungsgrund“.
Ein technischer Leiter musste sich vor Gericht wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung von drei Mitarbeiterinnen verantworten. Der Angestellte soll sich den Kolleginnen immer wieder bei Besprechungen im Büro zu sehr genähert haben. Die Frauen hätten versucht, den Annäherungen auszuweichen. Hinzukommt, dass der Angestellte eine der Kolleginnen bedrängend angestarrt haben soll, wenn sie Kleider oder Röcke getragen hatte. Mehr noch: Zwei Kolleginnen soll der Mann mehrfach an Oberschenkel und Arm berührt und einer Kollegin an den Po gefasst haben. Hinzukommen Wünsche nach privaten Treffen wie etwa in der Sauna. Doch die Frauen lehnten ab. Daraufhin soll der Angestellte den Kolleginnen vorgeworfen haben, sie hätten ihm falsche Hoffnungen/Versprechungen gemacht.
Ein Gespräch sollte Klärung bringen, doch nach der Anhörung des Betriebsrats wurde dem Angestellten eine außerordentliche fristlose Kündigung ausgesprochen. Außerdem wurde das Arbeitsverhältnis hilfsweise fristgemäß als Tat- und Verdachtskündigung der sexuellen Belästigung beendet.
E-Mails lassen auf lockeres Verhältnis schließen
Der Angestellte wehrte sich, leitete ein Kündigungsschutzverfahren ein und legte zahlreiche E-Mails sowie Auszüge aus der privaten WhatsApp-Korrespondenz zwischen ihm und den drei Mitarbeiterinnen vor. Aus den Nachrichten lasse sich nach Einschätzung des Angestellten ein lockeres und unbeschwertes persönliches Verhältnis herauslesen.
Das Arbeitsgericht Bocholt gab dem Angestellten Recht – die Kündigung sei rechtsunwirksam, da sie weder auf eine erwiesene Tat noch auf den dringenden Verdacht der sexuellen Belästigung gestützt werden könne. Der Angestellte habe die Kolleginnen zu keinem Zeitpunkt belästigt. „Zusammenfassend sei das Verhältnis des Klägers zu allen drei Mitarbeiterinnen stets gut gewesen. Sämtliche Unterhaltungen oder Berührungen hätten sich immer im Rahmen des sozial-adäquaten, guten kollegialen Miteinanders bewegt“, heißt es im Urteil.
80.000 Euro Abfindung: Arbeitsverhältnis wird aufgelöst
Der Arbeitgeber legte Berufung ein. Der Fall ging am Landesarbeitsgericht Hamm in die nächste Runde. Und auch dort wurde die Kündigung für unverhältnismäßig und damit für unwirksam erklärt. Allerdings wurde der Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen. Stattdessen könne das Arbeitsverhältnis hilfsweise gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst werden – konkret geht es um 80.000 Euro brutto (der Angestellte hatte ein Monatsgehalt von 12.000 Euro brutto). Die Begründung für die hohe Summe: Die Chancen des Angestellten, auf dem Arbeitsmarkt derzeit eine adäquate, vergleichbare Beschäftigung zu finden, seien gering.
Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung komme infrage, da eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten sei, so das Gericht. Hinzukommt, dass der Angestellte damit drohte, die Affäre des Geschäftsführers mit einer der betroffenen Kolleginnen durch einen eingeholten Detektivbericht offenlegen zu wollen. Dies sei eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte, „die in keiner Weise durch den vorliegenden Rechtsstreit gerechtfertigt sei, zumal die Beklagte die Beziehung zu keiner Zeit bestritten, sich lediglich nicht zu diesem Thema geäußert habe.“
Sexuelle Belästigung „kein absoluter Kündigungsgrund“
Außerdem stellt das Landesarbeitsgericht klar, dass dass es für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung nicht darauf ankommt, dass oder ob die belästigte Person ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck bringt. Sexuelle Belästigung sei „kein absoluter Kündigungsgrund. Es ist daher unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.“
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