Personalmangel, Krankheit, viel zu tun – Gründe, warum Angestellte am Jahresende noch Resturlaub haben, gibt es viele. Eine Angestellte sammelte über Jahre insgesamt 101 Resturlaubstage an – es kam zum Streit, und zwar darüber, ob die nicht genommenen freien Tage längst verfallen und verjährt sind.
Hierzulande gilt: Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. So schreibt es das Bundesurlaubsgesetz in § 7 vor. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen, heißt es weiter. Wird Resturlaub ins Folgejahr übertragen, müssen die freien Tage bis Ende März abgefeiert werden.
Weil aber eine Steuerfachangestellte aufgrund der vielen Arbeit ihren Urlaub nicht nehmen konnte, sammelte sie zahlreiche Resturlaubstage an. Der Arbeitgeber bestätigte der Angestellten Anfang März 2012, dass ihr Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Jahr 2011 sowie den Vorjahren am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie den Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht habe antreten können. Doch auch in den kommenden fünf Jahren war die Arbeitslast hoch und die Angestellte konnte den gesetzlichen Mindesturlaub nicht vollständig in Anspruch nehmen. Und auch der Arbeitgeber forderte seine Angestellte nicht auf, weiteren Urlaub zu nehmen. Außerdem hatte der Chef nicht darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen könne. Summa summarum kamen 101 Tage Resturlaub zusammen.
Es kam, wie es kommen musste, nämlich zum Streit. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses trafen sich die Parteien im Jahr 2018 vor dem Arbeitsgericht. Aus Sicht des Arbeitgebers sei der Resturlaub verfallen und der Anspruch verjährt, denn hierzulande liegt der Verjährungszeitraum bei drei Jahren. Die Steuerfachangestellte fordert jedoch die Abgeltung. Das Arbeitsgericht entschied im Sinne der Angestellten. Das Landesarbeitsgericht verurteilte den Arbeitgebenden, die 76 Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2016 abzugelten und stellte fest, der Urlaub habe weder verfallen noch verjähren können, weil die Angestellte vom Chef nicht in die Lage versetzt wurde, den Urlaub zu nehmen.
Verjährung: Der „Gegenstand der Verjährung“ ist in § 194 Bürgerliches Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Dort heißt es: „Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung. Gefolgt von § 195 BGB („Regelmäßige Verjährungsfrist“): „Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.“
Der Fall wurde dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Und der hat zuvor bereits entscheiden, dass Chef:innen ihre Angestellten über die Anzahl der Urlaubstage, der Antragsfrist, den Zeitraum der Abgeltung und darüber, was passiert, wenn die freien Tage nicht beantragt werden, informieren müssen.
Im geschilderten Fall geht der Gerichtshof davon aus, „dass ein Erlöschen von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub in Fällen, in denen der Arbeitnehmer den Urlaub nicht hat nehmen können, nur ausnahmsweise in Betracht kommt, und zwar dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die den Verfall des Urlaubs rechtfertigen.“ Weiter heißt es, dass beim Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Grundsatz gilt, dass dieser Anspruch nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen.
Das Fazit von EuGH-Generalanwalt Jean Richard: Die Verjährungsfrist läuft erst dann, wenn Arbeitgebende ihrer Hinweispflicht nachkommen und Arbeitnehmende über Resturlaubstage und das mögliche Erlöschen informiert haben.
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