Lunivia (Hennig Arzneimittel) ist seit April auf dem Markt und hierzulande das erste Schlafmittel mit dem Wirkstoff Eszopiclon. Wir frischen dein Wissen über das S-Enantiomer und den pharmakologisch aktiven Teil von Zopiclon auf, das bereits seit 2005 in den USA zur Anwendung kommt.
Millionen Menschen leiden an Schlafstörungen – mit gesundheitlichen Folgen. Insomnie – Ein- und Durchschlafstörungen – werden in nichtorganische und organische Schlafstörungen unterteilt. Während Schlafwandeln oder Alpträume zu den nichtorganischen Schlafstörungen zählen, liegen den organischen Schlafstörungen bestimmte Erkrankungen wie beispielsweise chronische Nierenerkrankungen, Schmerzen, Epilepsie, Schlaganfall oder auch Multiple Sklerose zugrunde. Bleibt infolge des Schlafmangels die nächtliche Erholung aus, können nicht nur Leistungs- und Konzentrationsstörungen oder Müdigkeit die Folgen sein, sondern auch psychische Störungen oder gar Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzerkrankungen auftreten.
Zur Behandlung stehen verschiedene Optionen – medikamentös und nicht-medikamentös – bereit. Eine Möglichkeit sind verschreibungspflichtige Präparate wie Benzodiazepine, Benzodiazepinrezeptoragonisten wie die Z-Substanzen Zolpidem und Zopiclon sowie sedierende Antidepressiva wie Doxepin, Mirtazepin oder die Antipsychotika Melperon und Pipamperon.
Lunivia gegen Schlafstörungen
Seit April gehört Lunivia (Eszopiclon) zu den Therapieoptionen zur Behandlung von Schlafstörungen bei Erwachsenen. Der Vorteil: Das Arzneimittel kann im Vergleich zu anderen Hypnotika nicht nur für einen Zeitraum von vier Wochen, sondern für bis zu sechs Monate angewendet werden. Außerdem konnten in einer Studie über einen Zeitraum von zwölf Monaten keine Toleranzen festgestellt werden.
Zopiclon vs. Eszopiclon
Zopiclon gehört wie Zolpidem zu den sogenannten Z-Substanzen und wirkt aktivierend auf den GABA-A-Rezeptorkomplex – so auch Eszopiclon. Letzteres ist das S-Enantiomer und der pharmakologisch aktive Teil von Zopiclon. „Viele Arzneimittel, so auch das Zopiclon, liegen als so genannte Racemate vor. Das heißt, sie bestehen zu gleichen Teilen aus einem R- und einem S-Enantiomer“, erklärt Dr. Wolfgang Baumann, Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Hennig Arzneimittel.
Enantiomere sind Stereoisomere chemischer Verbindungen. Ein bekanntes Beispiel aus dem Alltag ist die rechts- und die linksdrehende Milchsäure, wie wir sie aus dem Joghurt kennen. Enantiomere haben die gleiche Summenformel und die Atome sind in gleicher Weise miteinander verknüpft, können allerdings nicht durch Drehung zur Deckung gebracht werden. Sie verhalten sich wie Bild und Spiegelbild (Chiralität) und treten als Paar auf. Meist ist immer nur eines der beiden Enantiomere für die Wirkung bedeutend uns das andere für die Nebenwirkungen verantwortlich. Der Grund: Auch die körpereigenen Strukturen sind chiral aufgebaut, sodass nur eines der beiden Enantiomere passt. Beispiele für Medikamente in racemischer Form sind unter anderem Pantoprazol, Acetylsaliclysäure oder Ibuprofen.
Zopiclon liegt als Gemisch von zwei Enantiomeren vor: R-Form und S-Form – nur letztere ist pharmakologisch aktiv. So besitzt Eszopiclon im Vergleich zu Zopiclon einen geringeren Effekt auf die α1-Untereinheit des GABA-A-Rezeptors. Das bedeutet: Eszopiclon besitzt eine schlaffördernde Wirkung mit einem geringeren sedierenden Effekt und einem geringeren Abhängigkeitspotenzial. Die Patient:innen verspüren weniger Hangover-Effekte am Tag nach der Einnahme. Und das ist die Erklärung:
Zopiclon und Eszopiclon wirken agonistisch auf die sogenannten Gamma-Aminobuttersäure (GABA)-A-Rezeptoren. Der GABA-Rezeptor gilt als der wichtigste dämpfende Rezeptor im Nervensystem und bindet den Neurotransmitter GABA. Die Folge: Chloridionen strömen ein und die Nervenzellen werden zentral gehemmt. Eszopiclon und Zopiclon erhöhen die durch GABA hervorgerufene Chlorid-Leitfähigkeit, was eine schlafanstoßende Wirkung zur Folge hat. Allerdings besitzen die beiden Enantiomere eine unterschiedliche Bindungsaffinität am Rezeptor.
Der GABA-Rezeptor besteht aus verschiedenen Untereinheiten. Für die Wirkung sind allerdings die α-Untereinheiten von Bedeutung:
- α1: Sedierung und Abhängigkeit sowie Absetzsymptome
- α2- und α3: anxiolytische, muskelrelaxierende und analgetische Effekte
Weil Eszopiclon im Vergleich zu Zopiclon nur eine geringe Bindungsaffinität zur α1-Untereinheit, aber eine größere an den α2- und α3-Untereinheiten besitzt, hat das S-Enantiomer zwar eine schlaffördernde Wirkung, aber gleichzeitig nur einen geringeren sedierenden Effekt und ein geringeres Abhängigkeitspotenzial.
Eszopiclon | Zopiclon | |
Wirkstärken | 1 mg, 2 mg, 3 mg | 3,75 mg, 7 mg |
Packungsgrößen | 10, 20 und 30 Tabletten (Monatspackung) | 10 und 20 Tabletten |
Behandlungsdauer | gemäß Zulassung bis zu sechs Monate | maximal vier Wochen |
Indikation | Schlafstörungen | Schlafstörungen |
Bindungsverhalten am GABA-A- Rezeptor | α1- Untereinheit: Aktivität gering = geringeres Abhängigkeitspotential α2-Untereinheit: Aktivität hoch = anxiolytische Effekte α3-Untereinheit: Aktivität hoch = anxiolytische, muskelrelaxierende und analgetische Effekten | α1- Untereinheit: Aktivität hoch = höheres Abhängigkeitspotential, Hangover-Effekt α2-Untereinheit: Aktivität gering α3-Untereinheit: Aktivität gering |
In der Langzeitstudie mit rund 800 Patient:innen verbesserten sich unter Lunivia die wichtigsten Schlafparameter wie Einschlafzeit, Schlafunterbrechungen und Gesamtschlafzeit signifikant. Auch Tagesparameter wie Aufmerksamkeit, Funktionsfähigkeit und das körperliche Wohlbefinden konnten durch Lunivia signifikant gesteigert werden. Alle Effekte blieben über die Studiendauer von zwölf Monaten bestehen. Toleranzen während der Therapie und Rebound-Schlaflosigkeit nach Absetzen der Therapie wurden nicht dokumentiert, wie Hennig mitteilt.
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