In Deutschland gibt es erstmals wieder mehr HIV-Neuinfektionen als in den Vorjahren, teilt das Robert Koch-Institut (RKI) mit. Hinzu komme, dass schätzungsweise Tausende Menschen gar nichts von ihrer Infektion wüssten und die Prävention derzeit erschwert sei.
Das RKI hat im aktuellen Epidemiologischen Bulletin neue Zahlen rund um das HI-Virus in Deutschland veröffentlicht. Zunächst die gute Nachricht: Den Schätzungen und Modellrechnungen zufolge erhielten 2019 fast alle Patient*innen mit der Diagnose „HIV-positiv“ laut dem Bericht eine antiretrovirale Therapie (96 Prozent), die wiederum in 96 Prozent der Fälle erfolgreich verlief, sodass Betroffene das Virus auch beim Geschlechtsverkehr nicht übertragen.
Weniger erfreulich ist hingegen, dass die Zahl der HIV-Neuinfektionen 2019 im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen ist. Während die Zahlen zwischen 2015 und 2018 konstant rückläufig waren, gab es im letzten Jahr einen Anstieg um 100 neue Patient*innen auf insgesamt 2.600 Personen. Damit waren Ende 2019 bundesweit rund 90.7000 Menschen infiziert. Die Anzahl an Betroffenen, die nichts von ihrer Infektion wissen, blieb den Schätzungen zufolge nahezu unverändert und lag bei knapp 11.000. Demnach konnte rund ein Drittel der HIV-Infektionen (34 Prozent) erst diagnostiziert werden, wenn sich bereits ein fortgeschrittener Immundefekt oder gar eine AIDS-Erkrankung (15 Prozent) ausgebildet hatte.
Europaweit lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten, wie aus Zahlen des Jahresberichts der Weltgesundheitsorganisation Europa und der EU-Gesundheitsbehörde ECDC hervorgeht. Dabei haben sie die Zahlen der HIV-Neuinfektionen in einigen Ländern seit 2010 teilweise mehr als verdoppelt (Malta, Zypern, Slowakei, Bulgarien).
HIV-Neuinfektionen: Corona hemmt Prävention
Die Deutsche Aidshilfe betrachtet die Entwicklungen der HIV-Neuinfektionen mit Sorge: „Wir haben auf einen weiteren Rückgang der Zahlen gehofft. Immerhin zahlen seit letztem Jahr die Gesetzlichen Krankenkassen für die HIV-Prophylaxe PrEP und immer mehr Menschen mit HIV erhalten früh eine Therapie. Doch die Möglichkeiten der Prävention in Deutschland werden bisher nicht voll ausgeschöpft. Es ist dringend an der Zeit, alle wirksamen Methoden auch allen Menschen mit HIV-Risiken anzubieten“, erklärt Sven Warminsky, Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
Doch die Corona-Pandemie erschwert dies aktuell. So seien die Testkapazitäten derzeit aufgrund der Überlastung vieler Gesundheitsämter eingeschränkt. Die Aidshilfe befürchtet daher Versorgungslücken und steigende Zahlen. Darum sieht die Organisation dringenden Handlungsbedarf: „Es gilt jetzt dringend, mit zusätzlichen Ressourcen gegenzusteuern – denn die Corona-Pandemie wird uns noch erhalten bleiben und darf nicht dauerhaft die Maßnahmen gegen HIV behindern“, so Warminsky.
Umgang mit HIV-Patienten: Expert*innen fordern Schulungen für Ärzt*innen und Pflegepersonal
Im Kampf gegen steigende HIV-Neuinfektionen würden unter anderem leicht zugängliche Testangebote und Testkampagnen eine entscheidende Rolle spielen – sowohl bei der Diagnose als auch bei der Prävention. Denn je früher eine HIV-Infektion erkannt und behandelt wird, desto geringer ist das Übertragungsrisiko. Daher nimmt die Aidshilfe vor allem Mediziner*innen in die Pflicht. Sie müssten durch Fortbildungen stärker geschult werden, bei unklaren Erkrankungen auch HIV als mögliche Ursache in Betracht zu ziehen.
In den Augen der Deutschen AIDS-Stiftung braucht es außerdem mehr Vertrauen und Offenheit im Arzt-Patienten-Gespräch und zusätzlich eine Ent-Tabuisierung von HIV. „Wir müssen das Tabu brechen, im Ärzt*in-Patient*innen-Verhältnis zu wenig über riskantes Verhalten beim Sex zu sprechen. So nimmt man den Patient*innen die Chance auf Heilung“, erklärt Kristel Degener, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Stiftung.
In Bezug auf den demografischen Wandel sowie die zunehmend alternde Bevölkerung mahnt die Stiftung zudem, sich rechtzeitig um Fortbildungsmöglichkeiten zu bemühen, damit Pflegepersonal für den Umgang mit HIV-positiven Patient*innen im Seniorenalter geschult werden.
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