In sechs Tagen ist es so weit: Am 1. September 2020 tritt die Änderung des „Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) in Kraft und Hämophilie-Präparate werden von der Apotheke abgegeben. Bislang lief die Versorgung über spezialisierte Hämophilie-Zentren. Wir sagen dir, was du bei der Rezeptbelieferung beachten musst.
Hämophilie-Patienten fehlen Gerinnungsfaktoren. Unterschieden wird in Hämophilie A – einem Faktor VIII-Mangel – und Hämophilie B – einem Faktor IX-Mangel – wobei Hämophilie A häufiger auftritt. Therapiert wird durch Substitution der fehlenden Gerinnungsfaktoren. Bislang lief die Versorgung der Betroffenen ausschließlich über Hämophilie-Zentren, das bedeutet, die Hersteller haben die Arzneimittel im Direktvertrieb an die spezialisierten Zentren abgegeben.
Mit dem GSAV wird zum 1. September 2020 der Vertriebsweg angepasst – Hämophilie-Präparate werden nur noch über die Apotheken vertrieben. Bis auf wenige Ausnahmen werden Patienten nun ausschließlich über die Apotheke versorgt. Somit kommen zum Monatsersten auf das Apothekenteam neue Aufgaben zu, denn Hämophilie-Patienten erhalten Rezepte, die sie in der Apotheke einlösen müssen.
Das Hämophilie-Rezept
Hämophilie-Präparate werden auf einem rosafarbenen Rezept verordnet. Im ersten Schritt – wenn die verordnete Menge als Packungsgröße im Handel ist – ist alles, wie bei jedem anderen Muster-16-Rezept; Bestellung und Abgabe des Arzneimittels finden wie gehabt statt und das Rezept wird zulasten der Kasse abgerechnet.
Merke: Jede Verordnungszeile ist einzeln zu betrachten. Verordnungen sind mit der jeweils verordneten Anzahl von Packungen zu beliefern.
Der Arzt muss im Verordnungsfeld die Stückzahl oder ein jeweiliges Vielfaches im Rahmen der Messzahlen (beispielsweise 5 × N1, 30 × N1 oder 60 × N1) angeben. Eine N2- oder N3-Verordnung ist nicht möglich, da keine entsprechenden Packungen im Handel sind. Auch wenn die prophylaktische Behandlung der Hämophilie eine Dauertherapie ist, sind die meisten Arzneimittel nur als N1-Packungen zu einem Stück im Handel.
Besonderheit #1: Packungsgröße zusammenstellen
Ist keine entsprechende Packungsgröße im Handel, darf die Apotheke die Packungen gemäß § 3 Packungsgrößenverordnung (PackungsV) im Rahmen der definierten Normgrößen selbst zusammenstellen. Dabei gilt:
- N1 entspricht ein Stück
- N2 entspricht fünf bis sechs Stück (zum Beispiel: fünfmal N1)
- N3 entspricht 29 bis 30 Stück (zum Beispiel 29-mal N1)
§ 3 PackungsV: „Fertigarzneimittel, die nach § 47 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a des Arzneimittelgesetzes vom ausschließlichen Vertrieb über Apotheken freigestellt sind, und Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie können, soweit sie nach § 5 entsprechend gekennzeichnet sind, aufgrund einer ärztlichen Verordnung im Rahmen der Messzahlen zusammengestellt werden. Die Abgabe dieser Packungen gilt im Sinne dieser Verordnung als Abgabe einer Einzelpackung.“
Besonderheit #2: Zuzahlung
Stellt die Apotheke die Packungen zusammen, richtet sich die Zuzahlung nach der erreichten Normgröße. Der Patient zahlt somit nicht pro Packung, sondern entsprechend dem Normbereich.
Das bedeutet: Sind 30 Stück verordnet und werden 30 Packungen (30x N1) abgegeben und somit die N3 erreicht, wird die Zuzahlung nur einmal fällig. Anders verhält es sich, wenn 36 Stück verordnet sind und 30 Stück (N3) und sechs Stück (N2) geliefert werden, dann fallen zwei Zuzahlungen an – einmal für die N3 und einmal für die N2. Sind 60 Stück verordnet, werden ebenfalls zwei Zuzahlungen fällig.
Merke: Die Abgabe der zusammengestellten Packungen gilt als Abgabe einer Einzelpackung, sodass je Vielfachem einer Normgröße nur eine einmalige Zuzahlung fällig wird.
Die Zuzahlung beträgt 10 Prozent des Arzneimittelpreises, jedoch mindestens fünf und maximal zehn Euro. Bislang mussten Hämophilie-Patienten nicht zuzahlen. Diskussionen in der Apotheke sind also möglich.
Besonderheit #3: Doku
Gemäß § 17 Absatz 6a Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) müssen Apotheken „Erwerb und […] Abgabe von Blutzubereitungen, Sera aus menschlichem Blut und Zubereitungen aus anderen Stoffen menschlicher Herkunft sowie Arzneimitteln zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie“ dokumentieren und 30 Jahre aufbewahren. Bei Hämophilie-Präparaten sind folgende Angaben festzuhalten:
- Chargenbezeichnung und Menge des Arzneimittels
- Datum von Erwerb und Abgabe
- Name und Anschrift des verschreibenden Arztes
- Name oder Firma und Anschrift des Lieferanten
- Name, Vorname, Geburtsdatum und Adresse des Patienten (ist das Arzneimittel für die Arztpraxis bestimmt: Name und Anschrift des verschreibenden Arztes).
Besonderheit #4: Meldepflicht an den Arzt
§ 17 Absatz 6a ApBetrO wurde geändert und somit eine neue Meldepflicht für die Apotheke eingeführt. Apotheken müssen zusätzlich zur Doku eine Meldung in schriftlicher oder elektronischer Form an den verschreibenden Arzt vornehmen. Diese muss enthalten:
- Arzneimittel- und Chargenbezeichnung sowie Menge
- Abgabedatum
- Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des Patienten.
Der Arzt muss die von der Apotheke gemeldeten Daten an das Deutsche Hämophilie-Register (DHR) gemäß § 21 des Transfusionsgesetzes (TFG) weiterleiten. Das DHR sammelt seit 2008 die entsprechenden Daten und wird vom Paul-Ehrlich-Institut geführt.
Besonderheit #5: Notfalldepot
Hämophilie-Patienten benötigen zusätzlich zur planbaren Therapie Arzneimittel für Notfälle. Diese Vorräte müssen rund um die Uhr verfügbar sein – an 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Bislang wurden diese Notfall-Depots von den behandelnden Ärzten und Hämophilie-Zentren bereitgestellt. Mit der Änderung im GSAV sind nun auch teilnehmende Apotheken an der Notfallversorgung beteiligt. Die Bevorratung ist in § 43 Absatz 3a Arzneimittelgesetz (AMG) organisiert.
Besonderheit #6: Doku durch den Patienten
Hämophilie-Patienten müssen weiterhin ihr Substitutionstagebuch führen. Darin sind die Injektionen zu dokumentieren ebenso wie PZN, Chargenbezeichnung, Hersteller, Menge und Stärke sowie Datum und Uhrzeit der Applikation.
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