Der Hype um Melatonin ist ungebrochen. Im Mass Market sind zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel, die meist 0,5 mg Melatonin oder weniger sowie weitere Inhaltsstoffe wie Passionsblume, Zitronenmelisse oder auch Magnesium enthalten, zu finden. Doch immer wieder gibt es Streit darüber, ob es sich um Lebensmittel oder Arzneimittel handelt. So auch vor dem Kammergericht Berlin, das pro Melatonin entschied.
Melatonin 5 mg: Der Fall
Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) hatte Gall Pharma mit Sitz in Österreich wegen des Vertriebs von Melatonin 5 mg GPH verklagt. Die Kapseln sind als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Handel. Verwendung finden diese zur diätetischen Behandlung von Jetlag. Für das Produkt sind zwei Health-Claims vergeben: „Melatonin trägt zur Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung bei“ und „Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen.“
Aus Sicht des VSW handele es sich bei Melatonin 5 mg GPH um ein Arzneimittel – aus Sicht von Gall Pharma um ein diätetisches Lebensmittel. Der VSW hatte die Kapseln in einem Testkauf erworben und Gall Pharma daraufhin abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung aufgefordert – ohne Erfolg. Aus Sicht des VSW handele es sich um ein Funktionsarzneimittel gemäß § 2 Absatz 1 Arzneimittelgesetz, für das es einer Zulassung bedarf. „Wegen einer pharmakologischen Wirkung sowie nicht unerheblichen Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bedürfen melatoninhaltige Mittel in Deutschland unabhängig von der Dosierung einer Zulassung“, so der VSW. Die Präparate unterlägen gar der Verschreibungspflicht.
Gall Pharma kontert dem VSW. Man biete das Produkt als Lebensmittel an – ohne Hinweise, die darauf deuten ließen, es könnten Krankheiten behandelt oder geheilt werden. Ohnehin handele es sich bei einem Jetlag nicht um einen krankhaften Zustand, sondern eine bloße Befindlichkeitsstörung. In Österreich und Italien dürfe das Produkt rechtmäßig als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Zudem sei Melatonin sowieso im Körper vorhanden, bei der Zufuhr handele es sich um eine physiologische, aber nicht um eine pharmakologische Wirkung.
Bereits im Februar 2016 trafen sich beide Parteien vor Gericht. Die Zivilkammer des Landgerichts Berlin hatte zu Gunsten des VSW entschieden. Das Landgericht entschied, dass es sich bei Melaonin 5 mg GPH um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel (Funktionsarzneimittel) handele mit einer nicht unerheblichen pharmakologischen Wirkung. Doch Gall Pharma hatte Berufung eingelegt. Mit Erfolg, denn das Kammergericht teilte die Meinung der Zivilkammer nicht. Nun soll das alte Urteil geändert werden.
Das Urteil
„Zahlreiche Gutachter wurden bei den Verhandlungen dazu geladen und angehört. Schlussendlich entschied das Kammergericht Berlin, dass das Produkt der Gall Pharma GmbH, ‚Melatonin 5 mg GPH Kapseln‘ zur Behandlung von Jetlag als diätetisches Lebensmittel keinem Vertriebsverbot unterliegt“, teilt das Unternehmen mit.
Probleme beim Ein- und Durchschlafen hätten im Allgemeinen keinen krankhaften Wert. Es handele sich um normale Schwankungen des Wohlbefindens. „Auch ein Jetlag ist keine Krankheit, sondern nur ein zwar anormaler, die Gesundheit belastender, aber auch nur vorübergehender körperlicher Zustand, verbunden mit Abgeschlagenheit und Müdigkeit“, so das Urteil. Jetlag belaste regelmäßig auch gesunde Menschen. Auf die Eigung der Kapseln, eine Krankheit heilen oder lindern zu können, komme es laut Richter nicht entscheidend an. Es gehe um die Korrektur, Beeinflussung oder Wiederherstellung der „physiologischen Funktionen“ im Allgemeinen.
Das Produkt stelle die physiologische Funktionen nicht durch eine pharmakologische Wirkung wieder her, es fehle gar eine pharmakologische Wirkung.
Die Revision ist nicht zugelassen.
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