Nach der Veröffentlichung eines Artikels in der niederländischen Zeitung „Nieuwe Rotterdamsche Courant Handelsblad“ (NRC) hat das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) Untersuchungen eingeleitet. Das NRC hatte über eine Verunreinigung im Wirkstoff Paracetamol berichtet. Einige Chargen der aktiven Substanz eines chinesischen Herstellers sollen mit 4-Chloranilin verunreinigt sein.
NRC und das niederländische Dokumentarfernsehen Zembla sollen den Skandal um die Verunreinigung enthüllt haben. Wie NRC berichtet, stammen die betroffenen Chargen vom weltweit größten Paracetamol-Hersteller. Den Medienberichten zufolge handele es sich um das chinesische Unternehmen Anqiu Lu’an Pharmaceutical, das die aktive Substanz für viele Paracetamol-haltige Arzneimittel liefere, die in niederländischen Drogerien, Supermärkten und Apotheken verkauft würden. Die Proben sollen von einem deutschen Labor untersucht worden sein.
4-Chloranilin im Paracetamol
Drei Chargen Paracetamol, die im Frühjahr 2019 produziert worden sein sollen, sollen mit 4-Chloranilin (PCA) verunreinigt sein. Den Berichten zufolge könnten aus der betroffenen Menge 36 Millionen Tabletten hergestellt werden. PCA wird für den Menschen als möglicherweise karzinogen eingestuft. In Tierversuchen konnte das aromatische Amin mit Lebertumoren in Verbindung gebracht werden. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) spricht der Verunreinigung in vitro mutagene Eigenschaften zu. 34 µg 4-Chloranilin pro Tag seien bei lebenslanger Exposition vertretbar.
Zur Menge an 4-Chloranilin, die im Paracetamol nachgewiesen worden sein soll, macht NRC jedoch keine Angaben. Allerdings weist die niederländische Zeitschrift darauf hin, dass „die EMA sechs kontaminierte Pillen pro Tag für akzeptabel hält“. Für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) stelle hingegen „bereits mehr als eine kontaminierte Pille pro Tag ein inakzeptables Krebsrisiko dar“, so NRC.
„Sicherheit ist nicht gefährdet“
Nach Angaben des Medicines Evaluation Board (MEB) übersteige die Menge an PCA in den getesteten Paracetamol-Chargen nicht den genehmigten Schwellenwert. „Die Sicherheit bei der Anwendung von Paracetamol ist nicht gefährdet“, so das MEB. Für PCA gelte ein Grenzwert von maximal 34 Mikrogramm pro Tag. „Die Chargen, die NRC und Zembla untersucht hatten, bleiben deutlich unter diesem Grenzwert“, schreibt MEB, ohne einen genauen Wert zu nennen.
Der Grenzwert werde auf der Grundlage eines Worst-Case-Szenarios festgelegt: nämliche eine Person, die die maximale Dosis Paracetamol täglich während ihres gesamten Lebens einnimmt. Darüber hinaus basiere der Grenzwert auf einem vernachlässigbaren Risiko: eine weitere Person von 100.000, die lebenslang täglich die maximale Dosis Paracetamol einnimmt (3 Gramm Paracetamol oder sechs Tabletten zu 500 mg) und an Krebs erkranke. Bei kurzfristiger Anwendung von Paracetamol sei das Risiko sogar noch geringer.
Das MEB nehme jedoch die Sicherheit von Paracetamol sehr ernst. „Wir werden alle Hinweise darauf prüfen, dass es in den Niederlanden Paracetamol-Chargen gibt, die den genehmigten PCA-Schwellenwert überschreiten, und wir werden uns mit anderen Organisationen in Europa in Verbindung setzen, um unsere Ergebnisse zu besprechen. Wenn diese Konsultationen Anlass dazu geben, werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen.“
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