3,21 Euro: Porto höher als Retax-Betrag
Über die Sinnhaftigkeit von Retaxationen lässt sich in vielen Fällen streiten – besonders ärgerlich sind hier hohe Beträge. Aber auch kleine Summen zeigen die Schwachstellen des Systems und die Wildwüchse bei den Krankenkassen. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) kritisiert aktuell einen Fall, bei dem ein Mitglied wegen 3,21 Euro zur Kasse gebeten wurde. Für den Verband ist das „ein echter Schildbürgerstreich“.
Martin Schwarzer, Inhaber der Hirsch-Apotheke am Bahnhof Hamm, bekam diese Retax zugeschickt. Dabei überschritt der Porto-Wert von 4,75 Euro für das Einschreiben den Streitwert sogar noch deutlich. Das sei ein „unverantwortlicher Umgang mit Versichertengeldern“.
„Auch ohne Kenntnisse in höherer Mathematik sieht man auf den ersten Blick, dass das ein Verlustgeschäft für die Kasse ist“, sagt Schwarzer. „Und das sind nur die Portokosten. Hinzu kommen noch die Ausgaben für das Papier, denn der Umschlag enthielt neun DIN A4-Seiten. Noch höher dürften aber die Personalkosten liegen, denn irgendein Mitarbeiter muss die Rechnung geprüft, das Schreiben ausgefertigt und in einen Briefumschlag gesteckt haben.“ Hier stelle sich eindeutig die Frage nach einem gewissenhaften Umgang mit Versichertengeldern.
Zudem handele es sich hierbei keineswegs um einen Einzelfall, betont AVWL-Vorstandsvorsitzender Thomas Rochell. „Die Kosten für den Arbeitsaufwand bei den Kassen beziehungsweise deren Subunternehmen übersteigen die Höhe der Rückforderungen mit Sicherheit bei Weitem.“ Während die Krankenkassen also immer wieder medienwirksam Schadensummen in Millionenhöhe durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen kritisieren, sollten sie laut Rochell auf die eigene Arbeit schauen. „Die Kassen sollten bei diesen Bilanzen auch das Minus einkalkulieren, das sie durch solche Eseleien selbst verursachen.“ Ganz zu schweigen von den 4,2 Prozent des Kassenbudgets, das für die eigene Verwaltung ausgegeben wird. „Die Ausgaben für die Apotheken vor Ort, die die Patienten versorgen und beraten, sind nicht einmal halb so hoch.“
Bagatellgrenze gefordert
Ob es den vermeintlichen Fehler in der Rezeptabrechnung der Apotheke überhaupt gegeben habe und die Retax über 3,21 Euro gerechtfertigt sei, sei ebenfalls offen. „Durch nicht gerechtfertigte Rechnungskürzungen fügen die Krankenkassen den Apotheken in Westfalen-Lippe alljährlich Schäden in sechs- bis siebenstelliger Höhe zu“, bilanziert Rochell. Eine halbe Million Euro habe der Verband 2023 von den Kassen wegen zu Unrecht gestellter Retaxationen zurückholen können, wobei viele Inhaber:innen sich den Aufwand eines Einspruchs bei kleineren Beträgen nicht einmal machten.
Auch Inhaber Schwarzer wird nicht kontrollieren, ob seine Rechnung berechtigt korrigiert wurde. Diese Arbeit stünde in keinem Verhältnis zu den 3,21 Euro. „Doch auch diese kleinen Summen können sich auf Apothekenseite zu stattlichen Einnahmeverlusten addieren“, gibt Verbandschef Rochell zu bedenken.
Bei diesen Streitigkeiten mit den Kassen sei zudem darauf hinzuweisen, dass es fast nie darum gehe, dass Patienten falsche Arzneimittel bekommen hätten. „Vielmehr kürzen die Kassen die Rechnungen wegen kleiner formaler Fehler auf den Rezepten“, erklärt Rochell. „Solche Überprüfungen sind für alle Seiten eine No-Win-Situation. Vollständige Rechnungsabsetzungen aufgrund von Formfehlern dürfen nicht zulässig sein. Zudem brauchen wir eine Bagatellgrenze bei Rechnungskorrekturen, damit Versichertengelder nicht weiter derart unsinnig verbrannt werden“, fordert er.
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